Nur Fliegen ist teurer
Werner Schruf
Foto Seufert / Bossert – auto motor und sport 24/1970
Rennfahren ist ein teures Vergnügen - und das selbst in den unteren Hubraumregionen. Auch wer mit einem schlichten Einliter-Auto Tourenwagen-Wettbewerbe bestreiten möchte, kommt um umfangreiche Wagenpräparation und andere kostspielige Aufwendungen nicht herum. auto motor und sport-Redakteur Schruf erlebte eine Rennsaison mit persönlichem Einsatz und einem frisierten NSU TT. Sein Bericht beweist, daß des Privatfahrers Los hart und der finanzielle Einsatz beträchlich ist.
Am Anfang steht, wie meist im Leben, die Formalität: Club-Beiträge (ADAC, AvD, DMV) und ONS-Gebühren für Ausweis oder Lizenz lassen sich nicht einsparen; Mitgliedschaft in einem Motorsport-Club, eine Sportunfall-Versicherung und ein Wagenpaß (Kfz-Schein eines Rennwagens) können von Fall zu Fall vorteilhaft sein. Diese Ausgaben fallen jährlich an und betragen etwa 270 Mark. Hinzu kommen die Kosten für einen Sturzhelm und eine feuerfeste Fahrer-kombination; je nach Wahl sind hier erwa 600 Mark zu veranschlagen.
Im Fahrerlager herrscht meist buntes Treiben: Sofern man nicht mit Abstimmungsarbeiten beschäftigt ist, wird diskutiert.
Die Wahl des Sportinstrumentes richtet sich weitgehend nach Anschaffungskosten und Wartungsmöglichkeiten. Renntourenwagen der Gruppe 2 dürfen nach dem Anfang J und der Homologation des Herstellers so grundlegend abgeändertwerden, daß sie häufig mit dem Serienmodell nur noch wenig gemeinsam haben. Je mehr Verbesserungen an Motor, Fahrwerk und Karosserie gestattet sind, um so teurer werden klarerweise die Autos. Der Preis für einen optimal getunten Renntourenwagen liegt etwa zwei- bis dreimal so hoch wie der einer entsprechenden Limousine. So kostet ein rennfertiger BMW 1600 oder 2002 rund 30.000 Mark, ein aussichtsreicher NSU etwa die Hälfte. Bei dem Abarth 1000 TRC (ca. DM 30.000) und dem Ford Escort GT (ca. DM 40.000) liegen die Relationen noch etwas ungünstiger.
Viel Arbeit
Die NSU-Modelle 1000 TTS, 1000 TT und 1200 TT zählen zu den preisgünstigsten Sportinstrumenten überhaupt, wobei speziell ein gut vorbereiteter 1000 TT in der Klasse bis 1150 ccm zu den aussichtsreichsten Konkurrenten gehört. Der 1000 TTS hat gegen die schnellen Abarth wenig Chancen, und in der 1300er Klasse kann im Moment nur der TT von Siegfried Spiess den schnellsten Escort und Alfa Romeo ernsthaft Paroli bieten.
Die Wahl fiel deshalb auf einen 1000 TT. Ein relativ günstig erworbener Schrott-Wagen, von dem freilig nur noch einige unbeschädigte Ausstattungs- und Karosserieteile verwendet werden konnten, diente als Ausgangsbasis. Eine kleinere NSU-Werkstatt im Stuttgarter Raum wurde mit der Aufgabe betraut, das Auto völlig neu aufzubauen, wobei fast alle nicht im NSU-Programm enthaltenen Sonderteile wie Ölkühler, Überrollbügel, Räder, Tank usw. angeliefert wurden. Die Aufbau-Methode, bei der eine neue Rohkarosserie verwendet wird, bietet wichtige Vorteile: Das erforderliche Mindestgewicht (609 kg in diesem Fall) kann leicht eingehalten werden, Karosserieveränderungen, Fahrwerksverbesserungen und die Montage spezieller Teile lassen sich in einem Arbeidsgang durchführen. Außerdem bleiben im Gegensatz zu einer nachträglichen Umrüstung keine ungeeigneten Teile wie serienmäßige Stoßdämper, Räder, Getriebe oder Sitze übrig, die dann erst wieder in Geld umgemünzt sein wollen. Unter erheblichem Zeit- und Geldaufwand entstanden zwei Rennmotoren, bei deren Montage vorwiegend ausgesuchte Neuteile Verwendung fanden. In Ermangelung geeigneter Werkzeugmaschinen mußte zwar eine ganze Reihe von Teilen zum ersten Bearbeitungsgang in Tuning-Werkstätten und Zylinderschleifereien gegeben werden, doch erfolgten Arbeiten wie Erleichtern, Auswiegen, Polieren, Anpassen und Montage der Motorteile in eigener Regie. Pro Motor wurden etwa 80 Stunden eigene Arbeitszeit investiert, hinzu addieren sich noch etwa weitere 25 Stunden, in denen man ganz nur mit Herumfahren beschäftigt ist, um alle erforderlichen Teile zusammenzutragen. Der etwa 100 PS leistende Rennmotor war nur für Wettbewerbe bis etwa 200 km Distanz gedacht, wärend die rund 8 PS schwächere Version einen absolut standfesten Langstreckenmotor darstellte. Um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, wurden drei Sätze Rennreifen eingekauft, von denen allerdings nur einer am Saisonende fast völlig abgefahren war. Zwei auf Leichtmetallfelgen montierte Sätze mit unterschiedlich weicher Gummimischung (Niederquerschnittsformat) waren nut für Einsätze auf trockener Strecke bestimmt, der dritte Satz bestand aus reinen Regenreifen. Hinzu kamen zur Anpassung der Übersetzung an die einzelnen Rundstrecken zwei verschiedene Differentiale und zwei unterschiedlich ausgelegte Viergang-Getriebe. Eine spezielle Wagen-Ausstattung für Rennzwecke wie Überrollbügel, Hosenträgergurt, Schalensitz, Feuerlöscher, automatischer Stromkreisunterbrecher, größer Ölkühler, elektrische Benzinpumpen, 70 Liter-Tank und diverse Anzeigeinstrumente sind sehr empfehlenswert, teilweise auch vorgeschrieben, und kosten zusammen weit über 1000 Mark.
Das Zuggespann
Da die tiefgreifenden Änderungen an einem derart präparierten Auto absolute Straßen untauglichkeit in Alltagsverkehr mit sich bringen, ist zum Transport ein Anhänger nebst Zugwagen nötig. Als Schleppauto diente ein seriöser schwarzer Mercedes-Benz 220 S aus dem Jahre 1961, der freilich schon weit über 100.000 Kilometer gelaufen hatte, aber hinsichtlich Motorleistung. Gepäckraum und zulässiger Anhängelast sehr günstige Voraussetzungen offerierte. Hinzu gesellte sich ein Einachsanhänger, der relativ günstig erworben werden konnte, dafür aber anschließend einer teuren Generalinspektion unterzogen werden mußte. Um den Mercedes für den vorherrschenden Schlepp-Betrieb zu präparieren, wurde er an der Hinterachse mit harten Federn und Koni Load-a-Juster-Stoßdämpfern versehen, die für eine entscheidende Verbesserung der Stabilität bei stark beladenem Wagen sorgten. Ein durchgebranntes Auslaßventill trieb die Unterhaltskosten des Zugwagens in unerfreuliche Höhe, doch mag als Trost gelten, daß er zeitweise auch mit nur fünf intakten Zylindern widerspruchslos seinen Dienst versah.
Sorgfalt ist Trumpf
Mit dem NSU wurden nur Rundstreckenrennen gefahren, weil diese Wettbewerbe gegenüber Bergläufen bei gleichem Zeit- und etwas höherem Kostenaufwand eine erheblich längere Fahrzeit versprechen. Freilich steht außer Frage, daß gerade Rundstreckenrennen das Wagenmaterial erheblich strapazieren. So ist es unbedingt erforderlich, das Auto nach jeder Veranstaltung genau durchzusehen.
Eine exakt abgestimmte, durchzugskräftige Doppelvergaser-Anlage und ein bearbeiteter Ansaugkrümmer zählen auch beim NSU-Motor zu den wichtigsten Voraussetzungen für gute Leistungsausbeute.
Dazu gehört nicht nur die Überprüfung aller wichtigen Schraubverbindungen an Fahrwerk oder Motoraufhängung; in regelmäßigem Turnus müssen auch diverse Teile, die als verschleißfreudig gelten oder gar zu Ermüdungsbrüchen neigen, erneuert werden. Aus den auch bei anderen Konkurrenten auftretenden Schwieriggkeiten läßt sich eine Menge dazulernen, schließlich sollte man gute Beziehungen zu anerkannten Tuning-Werkstätten seines Fabrikates pflegen, die dank reichhaltiger Erfahrung faule Stellen meist schon kennen. Pro Rennen können bei entsprechender Sorgfalt getrost einige Stunden für Inspektions- und Einstellungsarbeiten gerechnet werden, hinzu kommt dann noch die für Motor- und Differentialwechsel benötigte Zeit. Leichtfertigkeit in diesen Punkten kann unangenehme Folgen haben: In Mainz-Finthen brach beispielsweise an dem NSU in einer über 100 km/h schnellen Kurve ein Hinterachsstummel ab, was leicht zu einem Überschlag hätte führen können. Und schon kurz zuvor war in Hockenheim bereits in der ersten Trainungsrunde die Kupplungsmitnehmerscheibe gerissen.
Bilanz
Der NSU TT wurde bei dreizehn Rundstreckenrennen eingesetzt, die mit einer Ausnahme alle international ausgeschrieben waren und größtenteils zur Deutschen Meisterschaft zählten.
So nüchtern auch die Erfolgsbilanz mit einem dritten, zwei zweiten Plätzen und drei Klassensiegen aussieht, so läßt sich doch unschwer erkennen (siehe auch Tabelle), daß das Vergnügen mit einigem Aufwand erkauft werden mußte. Unerfreuliche Placierungen können nicht allein der schnellen Konkurrenz angelastet werden, Probleme mit der Vergaser- und Zündanlage forderten in Form diverser Boxenstops wärend einiger Läufe ebenfalls ihren Tribut.
Der höchste Betrag an laufenden Kosten floß in die Kassen der Veranstalter: 1195 Mark an Nenngeldern für eine Renndistanz von 1746 Kilometern. Dem stehen die gewonnenen Preise gegenüber, die mit Ausnahme der 500 Mark-Prämie anläßlich des Klassensieges beim Großen Preis der Tourenwagen auf dem Nürburgring in Gestalt allmählich im Glanz ermatteter Pokale freilich nur ideellen Gegenwert zu bieten vermögen. Insgesamt legte der TT etwa 2200 Kilometer in rund 20 Stunden zurück, davon allein rund 1500 km (13 Stunden) in scharfem Renntempo; die verbleibende Zeit und Distanz läßt sich in Trainings- und Proberunden aufschlüsseln. Dank eines Sechsstunden-Rennens und dem Tatbestand, daß der stärkere Rennmotor erst Anfang Juni fertig war, gehen etwa 1650 Kilometer auf das Konto des Langstreckenmotors. Rund 500 Liter Superbenzin wurden verbrannt, 25 Liter Öl inclusive einiger Ölwechsel verbraucht; mit Reparaturen, Ersatzteilen und einer Transportversicherung ergaben sich Betriebskosten von über 3000 Mark.
Der Mercedes legte exact 8124 Kilometer mit dem NSU per Anhänger im Schlepp zurück, wozu seine Fahrer einsließlich kleiner Pausen 113 Stunden benötigten; das voll beladene Auto wollte in dieser Zeit mit 1300 Liter Benzin und etwa 10 Liter Öl gefüttert werden. Da Renntourenwagen spätestens am Samstag vormittags der technischen Abnahme vorgeführt werden müssen, wurde das Gespan vorwiegend nachts bewegt. Fahrer und Helfer waren insgesamt 32 Tage unterwegs, übernachteten 14mal in Hotelbetten und schliefen etwa 27 Stunden auf den Liegesitzen des Zugwagens. Addiert man alle Ausgaben, so stehen stattliche 31.900 Mark unter dem Strich. Berücksichtigt man, daß der Rennwagen mitsamt aller Ersaz- und Zubehörteile und dem Anhänger am Saisonende für 15.000 Mark verkauft werden soll und daß der Mercedes mit einigem Werkzeug noch einen Gegenwert von etwa 4.000 Mark darstellten, sind rund 12.900 Mark als Verlust abzuschreiben. Jeder der dreizehn Renneinsätze hat also neben einem Zeitaufwand von ca. zweieinhalb Tagen zusätzlich rund 1.000 Mark gekostet, jeder Rennkilometer schlägt mit 5,85 DM zu Buch.
Annehmlichkeiten
Nicht berücksichtigt bei all den Kostenberechnungen – mit Ausnahme der üblichen Rabattsätze – sind die Zuwendungen, die zwar auch unter den Begriff “Sportfahrerunterstützung” fallen, aber nicht als selbstverständlich gelten können. Stellt man derartige Vergünstigungen, die vom ungewöhnlich hohen Rabatt-Satz bis zum gut dotierten Werbevertrag reichen können, in Rechnung, so verringert sich freilich der errechnete Verlust-Betrag. Die eingesparte Differenz ist größtenteils von zuvor errungenen Erfolgen und persönlichen Beziehungen abhängig. Viele sportfreundliche Firmen gewähren Fahrern auf ihre Artikel unterschiedlich hohe Rabatte, schreiben mehr oder minder lukrative, mit Geldpreisen verbundene Trophäen aus oder gewähren Siegesprämien in irgendeiner Form.
Eine besondere Rolle spielen die gut ausgerüsteten Renndienstwagen, die bei allen bedeutenden Veranstaltungen zahlreich vertreten sind. Es kann durchaus lohnen, vorwiegend Zubehör-Aggregate oder Schmierstoffe und Benzin jener Firmen zu verwenden, die regelmäßig Service-Wagen entsenden, denn Renndienstleiter und Mechaniker haben für fast alle Probleme das bekannt offene Ohr und sind auch gerne bereit, im Bedarfsfall zu helfen.
Alle diese Erleichterungen mindern zwar das finanzielle Manko, sie gleichen aber bei weitem nicht den Verlust aus, den eine mit entsprechendem Aufwand betriebene Motorsportsaison mit sich bringt. So bleiben letzten Endes doch die roten Zahlen – und das (gute) Gefühl, dabeigewesen zu sein.
Werner Schruf